Zero Waste

Zero-Waste, wie aus Abfällen Neues entsteht

Zero Waste
Kategorie
Klimaschutz
Letztes Update
9/6/2019

Eine japanische Kleinstadt räumt ihren Müll auf

Japan zählt nicht gerade zu den grössten Umweltschützern weltweit. Im Gegenteil – die Industrienation macht immer wieder durch Skandale und Umweltkatastrophen auf sich aufmerksam. Plastikproduzent Nummer 1 auf der Welt, Befürworter des Walfangs – von Fokushima ganz zu schweigen. Aber der ostasiatische Staat kann auch anders wie Beispiele aus der grössten und einer der kleinsten Städte des Landes zeigen. Tokio und Kamikatsu setzen Zeichen. 2015 wurde in Kyoto das wohl wichtigste Umweltpapier zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen aufgesetzt: Das Kyoto-Protokoll. Umgesetzt wurde es bisher weder in Japan noch in anderen Mitgliedstaaten. Der CO2-Ausstoss nimmt weiter zu statt ab, das Klima erwärmt sich ungebremst. Immerhin – den japanischen Bürgerinnen und Bürgern liegt der Umweltschutz und die Begrenzung einer weiteren Klimaerwärmung sehr wohl am Herzen. Die Tokioter denken um und die Bewohner der Kleinstadt Kamikatsu machen durch ein vorbildliches Projekt zur Vermeidung von Müll weltweit Schlagzeilen.

In den siebziger Jahren stand Tokio unmittelbar vor einem Müllkollaps. Heute ist davon trotz wachsender Bevölkerungszahl kaum noch etwas zu sehen. Dass der Millionenmetropole mit der hohen Bevölkerungsdichte dies gelungen ist, liegt an einem ausgeklügelten Entsorgungssystemen und High-Tech-Verbrennungsanlagen, die so effizient arbeiten, dass sie nicht ausserhalb am Stadtrand liegen müssen, sondern sich in unmittelbarer Nähe der Wohngebiete befinden. Anfang der Neunzigerjahre konnte dank dieser Methodik die Menge aller Abfälle um rund 40 % reduziert werden.

Aus ekligen Abfällen entstehen Naturparadiese

Während zurzeit in der schmutzigsten Stadt des Planeten, Neu-Delhi in Indien die nahezu siebzig Meter hohen Müllkippen am Stadtrand beinahe das Taj Mahal überragen und mit ihren giftigen Ausdünstungen die Gesundheit der Einwohner massiv bedrohen, macht Tokio vor, wie aus den Rückständen der Müllverbrennungsanlagen sogar Gutes für die Umwelt entstehen kann: aus dem verbrannten Hausmüll, Klärschlamm, zu Pulver verarbeiteten nicht brennbaren Abfällen und Erde entsteht in der Nähe des Tokioter Hafens eine Insel, welche für die nächsten 50 Jahre als Lagerstätte für die Rückstände der Stadt herhalten wird.

Im Jahre 2020 soll voraussichtlich auf der Insel ein Naherholungsgebiet eröffnet werden und dort auch die Olympischen Spiele stattfinden. Dies ist eine sinnvolle Methode der Müllentsorgung – Emissionen bei der Verbrennung entstehen dennoch. Einen noch besseren Weg gehen die Bewohner der Kleinstadt Kamikatsu. Auch hier entstehen zwar Abfälle, allerdings werden sie in den seltensten Fällen verbrannt oder landen auf Müllkippen.

Zero-Waste in Kamikatsu

In Kamikatsu startete im Jahre 2003 das Zero-Waste-Projekt. Die rund 1700 Bewohner unter einen Hut zu bekommen und zur Mitarbeit zu bewegen, war anfangs eine Herausforderung, aber es hat funktioniert. Seit dem recycelt die Stadt 80 % aller Abfälle - bis zum Jahr 2020 sollen es 100 % werden. Möglich wurde diese Leistung durch Aufklärung und die Schaffung eines neuen Bewusstseins und Verantwortungsgefühls gegenüber Umwelt und Mitmenschen. Bereits Schulkinder werden hier dazu erzogen, möglichst keine Abfälle zu produzieren und wenn es sich nicht vermeiden lässt, diese ordnungsgemäss zu entsorgen. Die Stadt hat verstanden, dass alle Umweltsünden letztendlich auf den Menschen zurückkommen.

Wie funktioniert das Zero-Waste-System?

Um eine möglichst grosse Menge aller Abfälle einer Wiederverwertung zuzuführen, müssen zunächst alle Materialien säuberlich getrennt werden. Hierzulande kennt man die Unterscheidung in Altpapier, Alt-Glas, Plastik und “sonstige Abfälle“. Zumindest beim Glas unterscheiden wir Weissglas, Braunglas und grünes Glas. Den Japanern reichen diese paar Unterscheidungen bei weitem nicht. Für eine effiziente Wiederaufbereitung muss viel akribischer getrennt werden. Hier ordnet man den Müll in 34 Kategorien!

Allein für Papier hält das Entsorgungsunternehmen verschiedene Container für Küchenrollen, Pappkartons, harte Pappen, weiche Pappen, Flyer, Hochglanzmagazine, Zeitungen, etc. bereit. Ähnlich verhält es sich bei Plastikflaschen und Plastikverpackungen. Leicht fiel den Bewohnern die Umstellung anfangs nicht, ein umfangreicher Lernprozess mit Unterstützung der Initiatoren war nötig. Bei der Entsorgung des eigenen Mülls in der Sammelstelle werden die Bewohner kontrolliert. Wer Fehler macht, der freundlich aber bestimmt darauf aufmerksam gemacht, damit es beim nächsten Mal besser läuft. Aus Fehlern lernt man ja bekanntlich. An allen Entsorgungscontainern befinden sich zudem Schilder, die einerseits dabei helfen den Müll sachgerecht zu entsorgen und andererseits erklären, was aus diesen Materialien später einmal werden wird. Das anstrengendste war, die Akzeptanz der Menschen zu erlangen. Niemand gibt gerne die liebgewonnene Bequemlichkeit auf. Hier aber hat man verstanden, dass es so nicht weitergehen kann und jeder einzelne gefordert ist. “Wenn man sich an das System erst einmal gewöhnt hat, dann ist es ganz einfach,“ erklärt eine Bewohnerin.

Aus Alt mach Neu

Dass nicht alle Abfälle Müll sein müssen, zeigt auch der grosse Secondhand Markt der Stadt. Hier werden überflüssig gewordene, noch brauchbare Dinge abgegeben um sie weiterzuverkaufen. Auch eine Fabrik gibt es im Ort, in der Frauen aus alten Materialien neue Kleider, Taschen und Accessoires schneidern. So schafft die Stadt zusätzliche Arbeitsplätze. Die Müllbeseitigungskosten der Kleinstadt sind seit Realisation des Projekts auf ein Drittel gesunken und es wird an weiteren Verbesserungsmöglichkeiten gearbeitet. Neben einer sauberen Stadt hat das Zero-Waste Projekt noch einen weiteren, wichtigen Nebeneffekt hervorgerufen, den die Initiatoren so zunächst wohl gar nicht auf dem Plan hatten: durch die gemeinsame Sorge um die Umwelt ist ein starker Zusammenhalt in der Gemeinschaft gewachsen. Ein ganz neu entstandenes Bewusstsein hat zu einer kompletten Änderung des allgemeinen Lebensstils geführt. Zwar wäre dies in einer Millionenstadt wahrscheinlich nicht in diesem Masse möglich. Dennoch – das Gemeinschaftsgefühl hilft bei der Umsetzung ganz ungemein.

Politik und Verwaltung sind gefordert

Ein grosser Lernprozess, Lernbereitschaft und Akzeptanz sind nötig, um die ambitionierten Pläne auf lange Sicht durchzuhalten. Es ist untrennbar verbunden mit dem bewussten Verzicht auf die gewohnte Bequemlichkeit und ein gelebtes „Zurück zur Natur“ trotz mancher Einschränkungen. Umgesetzt werden kann ein solches Vorhaben auf lange Sicht nur, wenn Bürgerinnen und Bürger mit Verwaltung und Politik an einem Strang ziehen. Kamikatsu setzt ein Zeichen, dass Schule machen sollte. Auch hierzulande! Zu den Vorzeigeprojekten in der Schweiz gehört das 2000-Watt-Gesellschaft-Projekt in Zürich, dass sich für ein soziales, umweltschonendes und ressourcensparendes Miteinander einsetzt. Auch hier funktioniert das System durch die Einsicht aller und die enge Zusammenarbeit von Bürgern und Verwaltung.

Nicht erst seit der Fridays-For-Future-Bewegung sind immer mehr Menschen bereit auch selbst Verzicht zu üben. Wo die Politik aber nicht mitspielt, Verbrauchern den schwarzen Peter zuschiebt und diese obendrein mit vermeintlichen Bio-Siegeln und Tierwohllabeln glauben machen will, Tierschutz, bzw. umweltgerecht zu konsumieren, kann eine wirkliche Umsetzung kaum funktionieren. Die Verantwortung dem einzelnen zu überlassen ist da nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Noch bedenklicher ist, was die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner mit ihrer Lobby-Politik anrichtet: Statt tier- und umweltgerecht zu entscheiden, werden u.a. Verträge zum Einsatz hochgiftiger Pflanzenschutzmittel verlängert, aufklärende Aktivisten zu Kriminellen erklärt und die Fridays-For Future-Jugendlichen zu Schulschwänzern gemacht. Unlängst zeigte sich die Ministerin in einem Video äusserst wohlwollend mit dem Deutschland-Chef von Nestlé, Marc-Aurel Boersch; einem moralisch sehr umstrittenen Konzern, der immer wieder auch wegen Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltzerstörung von sich Reden macht.

Zurück zur Natur geht nur zu Fuss

Es bleibt zu hoffen, dass das Zero-Waste-Projekt in Kamikatsu kein blosser ein Akt der Hoffnung bleibt, die ja bekanntlich als letztes stirbt – kein verzweifelter, verspäteter Griff nach dem buchstäblich rettenden Strohhalm in einem Meer aus Plastik, sondern möglichst schnell auch andere Gemeinden weltweit zum Nachmachen animiert. Wer zurück zur Natur will, der muss eben auch bereit sein, manche Strecke wortwörtlich zu Fuss zu gehen.

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